Wir nehmen besorgte Bürger ernst

Am 19. März 2019 brach bei der Firma Mobius ein Großfeuer aus, in dessen Verlauf insgesamt 500 Tonnen Polyurethangranulat (PUR) verbrannten. Besorgte Anwohner meldeten sich bei uns, die Stadtratsfraktion hakte in der letzten Ratssitzung nach – schließlich hätte auch eine Vergiftungsgefahr für die Helfer von Feuerwehr und Polizei bestehen können. Statt auf die realistischen Gefahren hinzuweisen und z.B. die Notfallpläne zu überarbeiten oder das Gefahrenregister zu aktualisieren, wiegelte die Stadtverwaltung den Hinweis auf mögliche hochgiftige Blausäuredämpfe kategorisch ab.

Wir erinnern uns – die Rußsäule war viele Kilometer weit zu sehen. Professor Dr. Frank Kirchhoff, Biochemiker an der Universität des Saarlandes, nimmt heute zu den tatsächlichen Gefahren Stellung: Die Zersetzungstemperatur von PUR beträgt ca. 200-220 °C, Die Brandgase enthalten neben Kohlenmonoxid (CO), Kohlendioxid (CO2) und Wasser,auch Cyanwasserstoff (HCN, wenn HCN in Wasser gelöst ist, sprechen wir von Blausäure), Ammoniak und eine Reihe weiterer nicht unproblematischer Stoffe.

Es ist wissenschaftlich unzweifelhaft, dass im Rauchgas von verbrennendem Polyurethan deutliche Mengen an Blausäure (HCN) gefunden werden (Levin BC et al. (1985). Die US-Amerikanerin Levin und Kollegen fanden beim Verbrennen von Polyurethanschaum eine Freisetzung von etwa 0,4 bis 0,9 Milligramm HCN pro Gramm Polyurethan-Schaum. Bei 800 °C fand sie immer noch ca. ein Drittel des Wertes, der bei 500 Grad gemessen wurde. Die Entstehung von HCN aus Polyurethan kann aber je nach Verbrennungsbedingungen auch stark schwanken. Nehmen wir aber nur eine niedrige Freisetzung von nur 0,1 Milligramm Blausäure pro 1 Gramm (=0,1 Gramm pro Kilogramm) Polyurethan an, so können bei einer Verbrennung von 500 Tonnen (= 500 000 kg) mindestens 50 Kilogramm HCN erwarten.

Nach einer Untersuchung französischer Wissenschaftler (Baud et al., 1991) werden im Blut von Opfern einer Rauchvergiftung ca. 3 Milligramm Blausäure (als Cyanid) in einem Liter Blut gemessen. Als tödliche Dosis gelten allgemein ca. 50 Milligramm Blausäure (0,57 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht). Weniger wissenschaftlich ausgedrückt sprechen wir hier von ca. einem Regentropfen an Blausäure, der eine Person töten kann. Blausäure kann auch über die Haut aufgenommen werden. Für PUR wird eine tödliche Verbrennungsmenge festgestellt: Werden in einem Kubikmeter Luft 8 bis 40 Gramm PUR verbrannt, so ist der Aufenthalt in diesem Gasgemisch nach 30 Minuten tödlich. Bei 500 Tonnen PUR entspricht dies einer Rauchsäule, die für 10 Stunden einen Raum von 100 Metern Durchmesser und 125 bis 800 Meter Höhe einnimmt. Die Vergiftungsgefahr bestand also eindeutig für ungeschützte Personen in der Nähe des Brandes. Lediglich die Wettersituation, mit nahezu Windstille, und die Hitze der Verbrennung haben dazu geführt, dass die Rauchgase senkrecht aufsteigen konnten und entsprechend verdünnt wurden. Letztendlich hatte wir am 19. März einfach großes Glück mit der Wetterlage gehabt.

Es ist unverständlich, dass sowohl die Stadt als auch das Landesumweltamt die mögliche Gefahr nachträglich abwiegeln und kleinreden. Es ist sicher korrekt, die Bevölkerung bei besonderen Gefahrensituation zu beruhigen. Dann bitte aber auch mit den korrekten Argumenten. Es ist nur schwer verständlich, warum die Messwagen keine Cyanwasserstoff-Messungen durchgeführt haben. HCN ist zwanzig Mal giftiger als das gemessene Kohlenmonoxid. Die Behauptung des LUA, aufgrund der Temperatur könne keine Blausäure entstanden sein, ist wissenschaftlich nicht haltbar. Es wurden entsprechend der großen Menge an PUR große Mengen an HCN (neben anderen Giftstoffen im Rauch) freigesetzt!

Winfried Anslinger (Stadtrat Grüne) hat in seiner Anfrage zu Recht nach der Existenz eines Standortregisters für mögliches Gefahrgut gefragt. Warum wurde darauf nicht eingegangen? Sind überhaupt alle Betriebe, die mit gefährlichen Stoffen arbeiten, bei der Stadt bekannt? Gibt es Pläne, aus denen hervorgeht, worauf Feuerwehr, THW, Rotes Kreuz und andere achten müssen, wenn dort ein Brand ausbricht? Ohne Gefahrenregister kann es bei noch so guten Standard Operating Procedures schnell zu einem Desaster kommen. Glücklicherweise ist es beim Brand der Mobius Lagerhalle aufgrund des besonnenen Eingreifens der Feuerwehr und aufgrund der windstillen Wettersituation nicht zu einer Katastrophe gekommen.

Zur weiteren Lektüre: Ortner und Hensler (1995) Beurteilung von Kunststoffbränden – Bei einer Störung des bestimmungsgemäßen Betriebs entstehende Stoffe nach den Anhängen II – IV der 12. BImSchV. https://www.lfu.bayern.de/luft/doc/kunststoffbraende.pdf. | Levin BC et al. (1985) Generation of hydrogen cyanide from flexible polyurethane foam decomposed under different combustion conditions. FIRE AND MATERIALS 9: 125-134. | Baud FJ et al. (1991) Elevated blood cyanide concentrations in victims of smoke inhalation. N Engl J Med. 325:1761-6. | McKenna and Hull (2016) The fire toxicity of polyurethane foams. Fire Science Reviews 5:3.

P.S. Frank Kirchhoff kandidiert als Grüner für den Stadtrat. Dort wird er sich mit seiner Fachkompetenz zum Wohle Homburgs einbringen!